Im Rahmen der offiziellen Gedenkstunde der der Landeshauptstadt Düsseldorf am 16.04.2015 im Franz-Jürgens-Berufskolleg, hielt Dieter Andresen, Sohn des ermordeten Widerstandskämpfers Theodor Andresen, eine beeindruckende Rede.
Da wir bereits von mehreren Seiten darauf angesprochen wurden, war Dieter Andresen so freundlich, uns seine Rede mit der ausdrücklichen Erlaubnis zur Veröffentlichung zur Verfügung zu stellen:
Sehr geehrte Damen und Herren, Schülerinnen und Schüler,
„Jetzt ist es Zeit für mich, jetzt muss ich gehen“.
Das waren die letzten Worte unseres Vaters an seine Familie.
Mein Vater, Theodor Andresen, war ein ehrgeiziger, junger Mann.
Er kam als Soldat krank aus Russland zurück und wurde nach einem Lazarettaufenthalt, Ende 1943, aus dem Wehrdienst entlassen.
Er gründete die Firma: „Tiefbau und Sprengungen“.
Er war ein treusorgender Familienvater.
Zuhause wurde über Politik und zur militärischen Lage nicht gesprochen. Ein einziges Mal konnte meine damals 15-jährige Schwester Marianne ein Gespräch der Eltern mithören:
Darin war für unseren Vater 1943 der Krieg verloren und er hoffte, dass die Gräueltaten an der russischen Bevölkerung, seiner Familie erspart sein sollten.
Widerstand gegen Hitler und den Nationalsozialismus gab es am bedeutendsten durch Kommunisten und Sozialdemokraten. Sie wurden verfolgt, grausam gequält und ermordet.
Als die alliierten Streitkräfte deutsche Städte einnahmen, entstand aus dem Bürgertum Widerstand gegen den sogenannten „Nero-Befehl“. Nach diesem Befehl Hitlers sollte die Infrastruktur der Städte weiter zerstört werden, nur „verbrannte Erde“ sollte zurückbleiben.
In Düsseldorf fanden sich unabhängig voneinander zwei Widerstands-Gruppen:
Die „ANTIFAKO“ um Hermann Smeets und die „Aktion Rheinland“ um Dr. Wiedenhofen und Aloys Odenthal.
Am 16. April 1945, beim Frühstück, erhielt unser Vater die Nachricht: „Die Amerikaner sind in Erkrath“.
Mit den Worten: „Jetzt ist es Zeit für mich, jetzt muss ich gehen“, verabschiedete er sich von seiner Frau und seinen vier Kindern, vielleicht zärtlicher als sonst.
Für die „Aktion Rheinland“ war es Zeit zu handeln, mit dem Ziel der kampflosen Übergabe der Stadt.
Die Stadt Düsseldorf wurde ohne weitere Opfer von den Amerikanern eingenommen, und vom Nationalsozialismus befreit. Fünf Männer waren grausam ermordet. Ihre Leichen fand man verscharrt auf dem Gelände dieser Schule hier.
Als Jugendlicher konnte ich mir eine Wiederkehr der menschenverachtenden Nazi-Ideologie nicht vorstellen.
Ganz im Gegensatz zu unserer Mutter, die bis in die Sechziger-Jahre die Rückkehr der Nazis und deren Rache fürchtete. Jetzt, hat sie Recht behalten: die fiesen, dumpfen Faschisten sind wieder da, und mit ihnen ihre Verbrechen:
Die vielfachen fremdenfeindlichen Angriffe, bis zu Tötungen
Das Nagelbombenattentat auf der Keupstraße in Köln
Die NSU-Morde
Bei all diesen schrecklichen Taten gab es Versäumnisse und Fehler der Ermittlungsbehörden:
Zu den fremdenfeindlichen Übergriffen wurden die Statistiken manipuliert und der rechtsradikale Hintergrund verdeckt, beim Oktoberfest-Attentat wurde eine Einzeltäterschaft unterstellt, obwohl der Täter Mitglied der rechtsradikalen Wehrsportgruppe Hoffmann war.
Beim Nagelbombenattentat in Köln wurde unmittelbar nach der Tat in Polizeiberichten ein terroristischer Anschlag angenommen, aber bereits eine Stunde später wurde die Annahme des fremdenfeindlichen Motivs ersatzlos gestrichen. Bis heute konnte nicht ermittelt werden auf wessen Veranlassung dies geschah.
Beim NSU-Mord in Kassel war ein Agent des Verfassungsschutzes während der Mordtat am Tatort. Er hörte weder die Pistolenschüsse noch sah er etwas von der Tat und dem Mordopfer. Obwohl gegen den Agenten wegen Mordverdacht ermittelt wurde, und man bei ihm eindeutig rechtsradikales Material fand, wurde diese Spur nicht weiter verfolgt. Eine Vernehmung von V-Männern zu diesem Agenten, es hätten sich dadurch Hinweise auf frühere Morde ergeben, wurde vom hessischen Innenminister untersagt.
Diese Tatsachen lediglich als Versäumnisse und Fehler zu verstehen, geht nicht mehr:
Der Verfassungsschutz deckt seine Verbindungsleute, ihm ist das Wohl faschistischer V-Männer wichtiger als die juristisch eindeutige Aufklärung von Kapitalverbrechen. Verwaltungsgerichte genehmigen Demonstrationszüge des rechten Mobs, wodurch die Unversehrtheit von Menschen gefährdet, und das Andenken an Mordopfer verhöhnt wird. Politiker, die ihre Aufgabe, sich um Flüchtlinge zu kümmern annehmen, werden ohne Schutz gelassen. Flüchtlingsunterkünfte werden erst dann geschützt, wenn sie vorher abgefackelt wurden.
Ich weiß, dass Verschwörungsgedanken intellektuell auf niedrigem Niveau eingeordnet werden. Sie können aber helfen, Sachverhalte zu hinterfragen und Aufklärung zu verlangen.
Deshalb ist es jetzt an uns zu handeln: wir müssen kritisch und kämpferisch dem Neonazismus gegenübertreten und unsere demokratischen Institutionen zur Erfüllung ihrer Aufgaben auffordern.
Wenn wir gleich an der Richtstätte der Ermordeten vom 16. April 1945 gedenken:
Franz Jürgens
Karl Kleppe
Josef Knab
Hermann Weill
Theodor Andresen,
so erinnern wir auch an die inzwischen verstorbenen, weiteren Mitglieder der „Aktion Rheinland“:
Karl Müller
Karl August Wiedenhofen
Ernst Klein
Theodor Winkens
Josef Lauxtermann
Aloys Odenthal
Wir danken der Stadt Düsseldorf und der Polizei Düsseldorf, die seit vielen Jahren das Gedenken an die „Aktion Rheinland“ aufrechterhalten und würdevoll begehen.
Wir danken den Schulen für die Gestaltung der heutigen Gedenkfeier.
Wir danken der Band Heavy Gummi und Mindix für die gleich folgende aufwühlende, musikalische Schilderung des 16. April 1945.
Besonderer Dank aber gilt Ihnen hier, die sie uns gleich zur Kranzniederlegung an die Richtstätte begleiten.
Vielen Dank.
-Dieter Andresen, 16.04.2015-
Fotos: Johnson Schatz | insomnia-images.de